Divestment Stadt Lüneburg

Im Frühjahr 2019 haben wir uns intensiv mit dem finanziellen Haushalt und den finanziellen Mitteln der Hansestadt Lüneburg beschäftigt. Dabei hat sich ergeben, dass die Hansestadt auf der einen Seite keine langfristigen Einlagen oder Anlagen besitzt. Auf der anderen Seite profitiert sie jedoch durch einen großen Anteil an Avacon-Aktien, der für die Schuldentilgung zu Gute kommt. Avacon ist eine Tochterfirma von E.ON und dadurch mit fossilen Energieträgern verknüpft.

Unsere Forderungen an die Hansestadt Lüneburg hinsichtlich Ihres Finanzhaushaltes in kurzer Übersicht:

  • Eindeutige Strategie die Anlagerichtlinien auch bei kurzfristigen Anlagen einzuhalten
  • Bankkonten bei nachhatligen und gesellschaftsfähigen Banken (und Rolle im Aufsichtsrat bei der Sparkasse wahrnehmen, diese mit zu transformieren)
  • Langfristig unabhängig von der Avacon AG zu werden (und sich für eine kommunale eigenständige Energieversorgung einzusetzen)

Ein Bericht unserer Recherchen:

Wie die die meisten Städte in Niedersachsen, ist auch die Stadt Lüneburg stark verschuldet. Recherchen haben ergeben, dass langfristige finanzielle Anlagen oder Einlagen rechtlich durchaus möglich wären, der Stadtrat sich jedoch vorerst in der Verantwortung verpflichtet sieht, seine Schulden abzubezahlen. Im Jahreshaushalt 2018 ergeben sich die Schulden der Stadt nicht nur aus Kontoüberziehungen (Liquiditätskrediten) von mehr als 80.000.0000 Euro, sondern zusätzlich aus weiteren Verbindlichkeiten (beispielsweise für Investitionstätigkeiten) und summieren sich auf einen Gesamtbetrag von 241.839.000 Euro. Die einzigen langfristig angelegten Finanzmittel der Stadt bestehen aus sogenannten Sondervermögen und sonstigen Rücklagen, sowie erlangte Mittel durch Testamente und Nachlässe. Der Betrag dieser summiert sich (im Jahr 2017) auf lediglich nicht mal 900.000 Euro und verändert sich voraussichtlich nur bei weiterem Erhalten des letzteren. Die Stadt Lüneburg verfügt somit über keine bedeutsamen Summen direkter Finanzmittel die langfristig angelegt sind. Selbst die Pensionsrückstellungen, die bei dem Deinvestieren in Göttingen eine große Rolle spielen, existieren in Lüneburg nur virtuell und sind somit nicht von Belangen.

Nichtsdestotrotz wurde am 29.08.2019 eine städtische Anlagerichtlinie hinsichtlich ethischer Grundsätze im Stadtrat verabschiedet. Diese gilt für alle (wie oben erläuterten) langfristigen Finanzmittel, sowie für „kurzfristige Geldanlagen […], soweit der Prüfungsaufwand vertretbar ist.“ Die ethischen Grundsätze der Anlagerichtlinien regulieren folgende Mindeststandards bei neuen Finanz- und Kapitalanlagen:
“ a) keine Beteiligung an Unternehmen, die Kinderarbeit zulassen,
b) keine Beteiligung an Unternehmen, die Militärwaffen herstellen oder vertreiben,
c) keine Beteiligung an Unternehmen, die auf klimaschädliche oder nicht nachhaltige Energieerzeugung setzen, wie zum Beispiel Atomenergie, Kohle, Öl und Erdgas,
d) keine Beteiligung an Unternehmen, die Schiefergasgewinnung (sogenanntes „Fracking“) betreiben,
e) keine Beteiligung an Unternehmen, die Pflanzen oder Saatgut gentechnisch verändern,
f) keine Beteiligung an Unternehmen, die Tierversuche für die Herstellung von Kosmetika durchführen,
g) keine Beteiligung an Unternehmen, denen eklatante Bestechungs- oder Korruptionsfälle nachgewiesen worden sind.“

Wir befürworten die Etablierung der Anlagerichtlinie. Auf Grund von Gesprächen mit Politiker*innen und der Kämmerei, sowie dem Besuch beim Finanzausschuss des Stadtrates glauben wir einen Einfluss auf die Politik verübt zu haben, der dazu führte (und auch durch andere Akteur*innen), dass letztlich die Verabschiedung der Anlagerichtlinie verabschiedet wurde. Insbesondere die Änderung explizite klimaschädliche Energieerzeuger (Kohle, Öl und Erdgas) zu benennen und kurzfristige Anlagen auch mit aufzunehmen, war wahrscheinlich letztlich ein Reagieren auf unsere Forderungen. Dennoch ist der benannte und entscheidende Prüfungsaufwand für das Einhalten der Richtlinie bei kurzfristigen Anlagen nicht definiert – wir hätten uns hier mehr Klarheit gewünscht. Des Weiteren wurde kein Bezug zu den Banken genommen, mit denen die Hansestadt Lüneburg agiert.
Die Hansestadt Lüneburg verfügt überwiegend über Konten bei der Sparkasse, der Volksbank, der Postbank und der Deutschen Bank. Es werden Kredite, kurzfristige Investitionen und fluktuationsmäßig Konten beansprucht. All diese Banken ermächtigen durch finanzielle Anlagen klimaschädliche und unethische Unternehmen. Die Deutsche Bank, zu der die Postbank gehört, ist einer der Hauptaktionär*innen von RWE. Die Volksbank händigt Kredite und Fonds aus, durch von denen ExxonMobil, Chevron und Total gefördert werden. Fossil Free Lüneburg fordert ein bewusstes Handeln nur mit und bei Banken, die tatsächlich nachhaltig und klimagerecht für die Gesellschaft fungieren.

Neben den verwalteten Finanzen im eigenen Haushalt ist die Hansestadt Lüneburg Eigentümerin von Unternehmen, die für die Stadt Gelder generieren. Auffällig ist unter anderen die Gesundheitsholding Lüneburg GmbH, die zu 100% der Stadt Lüneburg gehört. Dieser wiederum gehört zu 94% die Kurmittel GmbH. Die restlichen 6% der Kurmittel GmbH sind offiziell Anteile der Stadt – letztlich ist sie also zu 100% in städtischen Händen. Die Kurmittel GmbH verfügt über ungefähr 5% der Avacon Aktien, was einem Geldwert von circa 120.000.000 Euro entspricht. Die Stadt hat ursprünglich vor vielen Jahren die Avacon Anlagen erworben, als die Stadtwerke privatisiert wurden. Diese Anlagen haben gute Rendite abgeworfen, welche versteuert werden mussten. Um der Versteuerung aus dem Weg zu gehen wurde die Kurmittel GmbH gegründet, welche seither die Rendite für städtische Investitionen verwendet. Das ermöglicht der Stadt eine regelmäßige anteilige Schuldentilgung.
In Niedersachsen besitzt und regelt die Avacon AG den Großteil der Strom- und Energienetze. Avacon ist eine von sechs Vertriebsgesellschaften von E.ON. Fast zwei Drittel der Aktien (von Avacons eigenenem Aktienanteil abgesehen) gehört E.ON mit direkter Beteiligung und zu weiteren durch die Bayernwerk AG (die ebenfalls eine Vertriebsgesellschaft von E.ON ist). Die Kurmittel GmbH, und somit die Hansestadt Lüneburg, zählt zu den 38,5% Beteiligung der kommunalen Aktionär*innen. E.ON ist weltweit eine der größten Energieunternehmen und vertreibt zwar auch (zu 16,7%) Strom aus Erneuerbaren Energieträgern, fokussiert sich jedoch hauptsächlich weiterhin auf Kohle, Atomkraft und Gas.

Die Avacon-Aktien stellen eine zweispaltige Angelegenheit dar. Auf der einen Seite soll E.ON eigentlich auf keinen Fall, und somit Avacon, weitere Finanzierungen erhalten, solange die Energie durch Kohle, Atomkraft und Gas generiert wird. Auf der anderen Seite regeln Konsortialverträge zwischen den kommunale Aktionär*innen und Avacon, dass bei abgegebenen Avacon-Aktien einer Kommune, diese wieder auf andere verteilt wird, um den prozentualen Anteil konstant zu halten. Inwieweit wäre es realpolitisch also ein effektives Entmächtigen von E.ON? Des Weiteren wäre es ein sehr umfangreiches und kompliziertes Unterfangen die Avacon-Aktien abzuwerfen, unter anderem auch dadurch, dass ein neues kommunales Stadtwerk errichtet werden müsste. Trotzdem würde die Stadt selbst in diesem Fall weiterhin auf Avacons Netzte in der Region angewiesen sein. Es stellt sich ebenso die Frage, inwieweit die Avacon AG nicht gar nachhaltige Projekte in Niedersachsen und der Umgebung fördert und voranbringt – sie tut zumindest so. Schlussendlich sitzt Lüneburgs Bürgermeister Mädge (SPD) auch im Aufsichtsrat der Avacon AG, was ebenfalls zumindest vorerst eine Hürde darstellen würde.

Wir empfinden es dennoch als Notwendigkeit, dass die Hansestadt Lüneburg langfristig von der Avacon AG unabhängig wird, um sich selbst einer kommunalen und nachhaltigen städtischen Energieversorgung zu ermächtigen und sich für diese auch im Landkreis Lüneburg einsetzt.